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Selbstwert und Selbstwertgefühl

Aktualisiert: 14. Juni 2021

Ich stelle meinen Klient*innen manchmal die Frage: “Wie hoch ist dein Selbstwert auf einer Skala von 1-100?“ Die Antworten mit den niedrigsten Werten liegen zwischen 10 und 30, die höchsten Werte bei 70 bis 90. Warum antwortet kaum jemand: 100!?


Die Antwort liegt meiner Ansicht nach in der Unterscheidung zwischen „Selbstwert“ und „Selbstwert-Gefühl“. Die Antworten, die ich auf diese Frage bekomme, beschreiben das Selbstwert-Gefühl, also die Wahrnehmung und Einschätzung des eigenen Wertes und nicht den absoluten, den wirklichen Wert des Menschen.


Wenn wir dieses Phänomen genauer betrachten, müssen wir zwei Dinge klären:

1. Was verursacht mangelndes Selbstwertgefühl?

2. Was ist der „Wert“ eines Menschen?


Ursachen für mangelndes Selbstwertgefühl

Einige der Ursachen für mangelndes Selbstwertgefühl sind bekannt und liegen auf der Hand. Sehr oft legen Eltern und andere „Weltbildpräger“ mit ihren Erwartungen den Grundstein dafür.


Wenn Weltbildpräger Bedingungen an Kinder stellen, an die Liebe, Zuneigung und Anerkennung geknüpft sind, lernt das Kind, dass es nur dann „in Ordnung“ ist (und damit ein Recht auf Zugehörigkeit hat), wenn es diese Bedingungen erfüllt.


Das bedeutet, dass der „Wert“ des Kindes scheinbar abhängig ist von der Reaktion der Umwelt…


  • Für überforderte Eltern hat ein Kind oft mehr Wert, wenn es „brav“ ist.

Brave Kinder sind angepasste Kinder, die gelernt haben, dass sie dann einen einigermaßen sicheren Platz in der Familie haben, wenn sie eigene Bedürfnisse und Impulse bestmöglich unterdrücken.


  • Ein Bauer hat 3 Töchter und wünscht sich einen Sohn…

„Das 4. Kind hat nur einen Wert, wenn es ein Junge wird.“

Welches Selbstwertgefühl wird das Kind in dieser Situation entwickeln, wenn es ein Mädchen ist?


  • Die Eltern sind musikbegeistert oder selbst Berufsmusiker: Es ist ein großer Unterschied, ob sie bei ihrem Kind die Liebe für die Musik wecken oder erwarten, dass das Kind auch ein guter Musiker wird.

Wenn dem Kind vermittelt wird („Weltbildprägung“), dass sein Wert von der Leistung des Musizierens abhängt, wird das massive Auswirkungen auf sein Selbstwert-Gefühl haben.


Dasselbe gilt für sportliche und schulische Leistungen, ebenso für das Aussehen – letztlich für alle Erwartungen und Bedingungen der Eltern, die mit dem Thema „Wert“ und „Existenz“ verknüpft werden…


Prägung und Verhalten

Wenn du als Kind auf diese Weise geprägt wurdest, entstehen daraus mögliche Verhaltensmuster, die auf der Wahrnehmung des eigenen Selbstwertes basieren, z.B.


  • Du tendierst dazu, mehr auf die Meinung anderer zu hören als auf deine eigene Wahrnehmung.


  • Du fühlst dich nur gut, wenn du positives Feedback von außen bekommst.


  • Du machst deinen Wert abhängig von deinen Leistungen.


Wenn einem Menschen diese Zusammenhänge nicht bewusst sind, kann es sein, dass diese Verhaltensmuster, die in seiner Kindheit geprägt wurden, sogar bis ins Erwachsenenalter aktiv bleiben. Dann sucht dieser innere kindliche Anteil immer wieder die Nähe und Anerkennung seiner Eltern/Weltbildpräger, um sich seines Zugehörigkeitsgefühls zu versichern und sich die Bestätigung zu holen, dass man „OK“ ist, wie man ist.


Das ist das Gegenteil von erwachsener Selbstbestimmung und Freiheit…


Ursachen in der Zeit der Schwangerschaft

Die Ursachen für mangelndes Selbstwertgefühl kann noch weiter zurückreichen als in die kindliche Prägungsphase – nämlich in die Zeit der Schwangerschaft (Pränatale).


Es gibt viele therapeutische Methoden, mit denen man nicht an die Ursachen der vorgeburtlichen Zeit kommt. Wenn ich z.B. in einer Gesprächstherapie einen Menschen fragen würde, wie er sich in der Zeit der Schwangerschaft gefühlt hat, wird er wahrscheinlich antworten: „Keine Ahnung, da habe ich keine bewusste Erinnerung.“

Und das stimmt auch.


Doch das Unterbewusstsein hat die Erlebnisse und Gefühle dieser Zeit gespeichert – und hier sind vor allem die Gefühle der Mutter relevant.

Mit der Methodik der Systemischen Hypnotherapie haben wir die Möglichkeit, im Rahmen der „aufdeckenden Hypnose“ die Ursachen möglicher Ablehnung ans Licht zu bringen.

(Solltest du dich im Folgenden angesprochen fühlen, findest du hier die Liste unserer ausgebildeten Systemischen Hypnotherapeut*innen)


Geplante und gewünschte Partnerschaft

Stell dir vor, du bist auf eine Feier eingeladen. Du gehst hin, klopfst an der Tür, die Tür öffnet sich und die Gastgeber empfangen dich wohlwollend mit den Worten: „Schön, dass du da bist. Wir haben dich schon erwartet und uns auf dich gefreut. Komm herein, wir stellen dich allen vor. Bediene dich mit Essen und Trinken und fühle dich wie zu Hause.“


Du wirst dich wertgeschätzt, zugehörig und respektiert fühlen, du wirst dich frei bewegen und dich ohne Bedenken am Buffet bedienen…

So geht es dem Kind in der Schwangerschaft, wenn sie geplant und gewünscht ist.


Ein wichtiger Moment ist der, in dem die Mutter das erste Mal ahnt (oder vielleicht auch schon sicher weiß), dass sie schwanger ist. Das ist der Moment, wo der Mensch die Bühne des Lebens betritt und das erste Mal wahrgenommen wird – so als klopfe das neue Erdenwesen an die Tür zur Feier des Lebens.


Ist dieser wichtige erste Moment des Sichtbar-Werdens ein ablehnender, wird das Kind nicht nur in seiner Art abgelehnt wie z.B. beim Thema gute Leistungen, brav sein oder in seiner Geschlechtsidentität…


Das Kind wird als Ganzes in seiner Existenz abgelehnt. Das erzeugt ein Gefühl von genereller Ablehnung, ein Gefühl von „Ich sollte gar nicht da sein.“


Um im Bild der Feier zu bleiben… Du klopfst an die Tür und die Gastgeber sagen: „Was machst du denn hier, dich hat niemand eingeladen. Na gut, jetzt bist du schon da, dann komm rein. Aber glaub ja nicht, dass du hier erwünscht bist und dich einfach so am Buffet bedienen darfst.“

Du wirst dich irgendwo in eine Ecke setzen und dich geduldet fühlen, aber sicher keine Wertschätzung erfahren – und du wirst es auf dich und deinen Wert als Menschen beziehen.


Die Lösung

Wenn wir Therapeuten im Rahmen der Systemischen Hypnotherapie mit Betroffenen in solchen Situationen sind, erleben wir meist heftige schmerzliche Reaktionen, die auch beim Erwachsenen immer noch im Unterbewusstsein gespeichert sind und somit eine tiefgreifende Schwächung des eigenen Selbstwertgefühls verursachen.


Diese Schwächung greift nur so lange, bis diese Prägungen bewusst werden – dann kann der Mensch beginnen, seine Fesseln abzuschütteln, die ihm diese alten Bilder über seinen vermeintlichen Selbstwert vorgaukeln.


Es gibt einerseits die subjektive Wahrnehmung: Das sind die Bilder und Erlebnisse, die das Kind wahrgenommen, erlebt und für wirklich gehalten hat durch seine Weltbildpräger - nämlich, dass sein Wert vom Erfüllen von Erwartungen anderer bestimmt sei.


Und es gibt die Wirklichkeit, die objektive Realität. Die kann allerdings nur der erwachsene Mensch reflektieren, wenn er nicht mehr abhängig ist vom Zugehörigkeitsgefühl zu seiner Herkunftsfamilie und der damit verbundenen Suche nach Konformität und Anerkennung.



Der wirkliche Wert des Menschen

Was ist nun der absolute, der wirkliche Wert des Menschen?


Wenn wir diese Frage von einer höheren Ebene aus betrachten, stellt sich die Frage: „Für wen oder was hat der Mensch und seine Existenz einen Wert?“




Antwort:

Für das Universum, für das große Ganze einerseits und für den Menschen selbst andererseits.


Und wann hat der Mensch für das Universum und die Evolution am meisten Wert? Sicher nicht, wenn er möglichst konform und eine gute Kopie seiner Eltern ist, sondern genau das Gegenteil ist der Fall: Wenn der Mensch möglichst das lebt, was ihn einzigartig und originell macht. Das trägt zur Evolution des Ganzen am meisten bei.


Mach dir bewusst: So jemand wie du war vor deiner Empfängnis noch nie auf diesem Planeten und wird nach deinem Tod auch nie wieder da sein. Du bist einzigartig für diesen Planeten…


Mach was daraus – mit deiner Einzigartigkeit, deiner Originalität, deinen Talenten, Fähigkeiten und Vorlieben trägst du zu deinem persönlichen Wachstum bei – und damit zur Evolution des großen Ganzen. Und das ganz unabhängig davon, was Andere für Meinungen und Vorstellungen haben, wie dein Leben aussehen sollte…

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